Der Waldlehrpfad

Waldlehrpfad im Speckenbütteler Park zu Bremerhaven; eingeweiht durch das Aufstellen der Baumscheibe eines 1000jährigen Redwood-Baumes am 1. Juli 1968

Autor: Wolfgang Thode

Allgemeines
Der Waldlehrpfad im Speckenbütteler Park umfasst die große Baumscheibe, vier Schaukästen und etwa 40 hölzerne Schilder. Er beginnt am Eingang zum Speckenbütteler Park beim Parktor (Haltestelle der Straßenbahn). Zuerst verläuft er fast 100 Meter nach Westen, biegt dann nach Norden ab (Markierung: ein Findling) und trifft schon bald auf die Buchenallee hinter dem Parkhaus. Jetzt führt er auf der Buchenallee weiter in westlicher Richtung über den Hauptweg hinweg bis zum Rosengarten. Im Rosengarten weist ein Findling nach links. Nun verläuft unser Weg am Marschenhaus vorbei zur Timmermannallee. Zwischen Marschenhaus und Eichenhain hindurch kommt man bald auf den Hauptweg nahe dem Freibad. Man geht an der Holländermühle und dem Freibad vorbei und biegt in den ersten Weg rechts hinter dem Freibad in einen Tannenwald ein. Am Ende dieses Weges, kurz vor dem Bootsteich, führt der Weg nach rechts am Teich entlang bis kurz vor das Bootshaus. Dort endet unser Pfad. Nach dem fast 1,5 Kilometer langen Spaziergang kann man von der Terrasse des Bootshauses bei einer Tasse Kaffee den hübschen Blick über den Bootsteich genießen. Hier liegen auch Ruderboote für eine Bootsfahrt bereit. Die kleineren Kinder freuen sich, die Enten am Ufer füttern zu können. Vielleicht besucht man als Lehrer mit seiner Klasse auch als Abschluss der Wanderung das nahe beheizte Freibad.

Die Baumscheibe
„Eine Pointe gehört in jede gute Story!“, sagte ich mir, als sich unsere Marktschule wegen des Waldlehrpfades Gedanken machte. Ich hatte während eines Studienaufenthaltes in den USA die Baumriesen an der amerikanischen Westküste gesehen und fragte deshalb, ob nicht eine solche Riesenscheibe am Anfang unseres Pfades stehen könnte. Mein Gedanke wurde von Herrn Gartenbaudirektor Schmidt sofort aufgegriffen. Die in Bremerhaven stationierten amerikanischen Streitkräfte wurden angesprochen, und es erschien im täglichen „Bulletin“ der Amerikaner ein kurzer Hinweis. Bereits drei Wochen später lagen etliche positive Antworten aus den USA vor. Ein US-Oberst erbot sich, mit seiner Transporteinheit die Scheibe au jeden» beliebigen kalifornischen Hafen zu bringen. Der Angestellte einer großen US-Holzfirma wusste, wo es die Scheibe eines Mammut-Redwood-Baumes (Sequoia sempervirens) gab. Sogar der Gouverneur von Kalifornien, der ehemalige Filmschauspieler Reagan, wurde von unseren Amerikanern eingespannt. Die Scheibe fand sich im Humboldt Redwoods State Park etwa 200 Meilen nördlich von San Francisco. Dort hatte ein Orkan eine Anzahl von Baumriesen entwurzelt. Der Oberst der US-Transporteinheit hielt sein Wort. Durch ein Gespräch mit Herrn Kapitän Dee, von dem ich wusste, dass er täglich seinen Spaziergang durch den Speckenbütteler Park machte und der die Lloydschiffe an der Westküste der USA betreute, konnte der Norddeutsche Lloyd Bremen für unsere Idee gewonnen werden. Vom kalifornischen Hafen Eureka (zu deutsch: Ich hab's gefunden!) brachte MS „Köln“ die Baumscheibe als Decksladung mit nach Bremen. Aber der Lloyd „verholte“ die Scheibe per Lkw sogar in den Speckenbütteler Park und ließ auf dem Transport gleich das Gewicht feststellen: 1020 kg, also mehr als eine Tonne! Dann wurden in stundenlanger Arbeit die Jahresringe gezählt.
Mein ehemaliger Klassenkamerad, der jetzige OStDirektor Herwart Lange, und ich einigten uns nach mehrmaligem Zählen auf 1050, denn am Rand der Scheibe waren die Ringe nur noch winzig. Ein Metallband, das quer über die ganze Baumscheibe reicht, gibt die Anzahl der Jahresringe und damit das Alter des Baumes an. 18 Metallschildchen erzählen bei den entsprechenden Jahresringen, was der Baum während seiner Lebensgeschichte alles miterlebt hat: 920 Geburtsjahr des Baumes; 1000 Wikinger entdecken Winland (Amerika); 1139 Wulsdorf und Geestendorf zuerst urkundlich erwähnt; 1492 Columbus entdeckt Amerika; 1776 USA werden unabhängig; 1827 Bürgermeister Smidt gründet Bremerhaven; 1847 Erste Schiffsverbindung Bremerhaven - New York; und so weiter bis hin zum ersten bemannten Raumflug der Amerikaner 1957. Verschiedene Bremerhavener Firmen lieferten zum Teil kostenlos das Material für das Wetterdach oder stellten ihre Arbeitskräfte zur Verfügung. Am 1. Juli 1968 wurde dann die Baumscheibe, deren größter Durchmesser 2,40 Meter beträgt, in Anwesenheit von Herrn Oberbürgermeister Bodo Selge und dem amerikanischen Standortkommandanten Colonel Hughes mit Hilfe eines amerikanischen Kranes aufgestellt. Es war eine hübsche Feier, an der neben Schülern der Paula-Modersohn-, Gauß- und Marktschule viele Bremerhavener und hier stationierte Amerikaner teilnahmen. Colonel Hughes überreichte Herrn Oberbürgermeister Selge zum Schluss die Flagge des Staates Kalifornien (s. Abbildung). Die gesamte Aktion verlief so reibungslos, dass sie in der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Amerikanern als vorbildlich bezeichnet werden kann.

Die Schilder
Die Marktschule fertigte im Werkunterricht insgesamt 38 Schilder. Sie sind aus wasserbeständigem Bootsbausperrholz. Der Verfasser brannte mit Hilfe seiner Kollegin Frau Siegmüller und einigen Freunden die Schrift in die Schilder ein. Dann wurden die Buchstaben noch mit einem weißen Lack ausgemalt. Als Waldlehrpfad liegt das Hauptaugenmerk natürlich auf der Beschreibung der Bäume und Sträucher. Es ist nicht möglich, sämtliche Texte hier aufzuführen.
An drei Beispielen soll dem Leser nur ein kurzer Eindruck vermittelt werden: „Hainbuche (Carpinus betulus) Hecken- und Windschutzgehölz. Nicht Buchen-, sondern Birkengewächs. Anspruchslos und schattenverträglich. Meidet moorige Böden. Schweres Holz.“ – „Stiel- oder Sommereiche (Quercus robur) Eindrucksvollste Eiche, knorrig-verzweigt. Langer Fruchtstiel, kurzer Blattstiel. Bis 500 Jahre alt, dann bis 4 m Durchmesser. Krummholz früher für Schiffsspanten. Hartholz. 100 Jahre alt.” – „Amerikanische Roteiche (Quercus rubra) Aus Nordamerika 1740 eingeführt. Wunderbare Herbstfärbung, deshalb beliebter Park- und Alleebaum. Blätter spitz ausgeschweift. Industriefest. Holz weicher.“ Wie aus den Texten zu ersehen, werden an den Leser der Schilder gewisse Anforderungen gestellt. Das hielten wir jedoch für wünschenswert. Der begleitende Erwachsene sollte deshalb bei jeder Gelegenheit durch Fragen an die Kinder zu klären versuchen, ob auch alle Ausdrücke verstanden worden sind. Wir versuchten, den Pfad möglichst abwechslungsreich zu gestalten. So findet der Betrachter neben den Schildern wie "Rotbuche", „Winterlinde“, „Serbische Fichte“ oder „Amerikanische Silbertanne“ auch etwa Schilder mit folgenden Texten: „Wasserverbrauch einer Buche (100 Jahre alt) in einem Sommer: etwa 10 000 l – Steiggeschwindigkeit des Wassers in der Stunde: Bei Nadelbäumen ca. 1 m; Buche, Linde, Birke: 1-6 m; Eiche, Esche, Edelkastanie, Robinie: 4-44 m!“ Andere Schilder bringen Hinweise auf die am Pfad liegenden Findlinge, auf die Wüstung Ganderse oder die alte Holländermühle. Hier heißt es z. B.: „Holländermühle 1828 in Holßel erbaut. 1960 hier errichtet anstelle der 450 Jahre alten Bockmühle aus Nordleda (1941 durch Feuer zerstört). Sogenannter Erdholländer. Wenn in Betrieb, Flügel mit Segel bespannt.“ Über den Eichen- und den Fichtenwald wird etwas gesagt, aber auch Hinweise auf die geschützten Tiere und Pflanzen gegeben. Mit dem Schild "Schütze den Wald" wird auf folgendes hingewiesen: „Mach kein Feuer! Drück die Zigarette sorgfältig aus! Wirf Papier nicht achtlos fort! Lass das Wild in Ruhe! Pflück nicht unnütz Blumen ab!“ So bieten die Schilder durch die Vielfalt an Themen jedem Interessierten etwas. Etwa im Oktober jeden Jahres werden die Schilder hereingeholt. Sie wurden in einem Winter durch die Witterung so in Mitleidenschaft gezogen, dass wir beschlossen, sie stets im Spätherbst abzunehmen. Im April jeden Jahres werden wie wieder an den Bäumen und Pfählen angebracht.

Die Schaukästen
Im Werkunterricht der Marktschule wurden auch die vier Schaukästen angefertigt. In ihnen werden verschiedene Schautafeln gezeigt, z. B. „Vögel in Wald, Bruch und Feld“, „Einheimische Pilze“, „Blumen und Kräuter in Feld und Wiese“ usw. Es handelt sich vor allem um Anschauungstafeln der Verlage Graser, Esslingen am Neckar und teNeues, Kempen/Niederrhein. Aber auch Abbildungen aus geeigneten Büchern wurden durch Zusammensetzen von uns zu Schautafeln verbunden. Alle Anschauungstafeln werden auf Karton aufgezogen und dann mit einer Plastikfolie kaschiert. Eine Tafel meines Freundes Wilhelm Öllerich mit neun herrlichen Pferdebildern verschwand leider, bevor sie überhaupt in einen Schaukasten gelangte. Insgesamt halten sich die Verluste in einem vertretbaren Rahmen. Jedoch werden die Farben der Abbildungen durch die UV-Sonnenstrahlen stark in Mitleidenschaft gezogen und verbleichen. Deshalb ist es erforderlich, dass wir in fast jedem Jahr neue Schautafeln für die Schaukästen beschaffen. Die Schaukästen runden durch die Vielseitigkeit ihrer Abbildungen das Gesamtbild des Waldlehrpfades ab.

Abschließendes
Wie wir immer wieder feststellen können, erfreut sich der Waldlehrpfad im Speckenbütteler Park nach wie vor großer Beliebtheit. Häufig sieht man einzelne Spaziergänger, aber auch ganze Familien, die vor den Schildern und Schaukästen betrachtend stehen. Wir würden es begrüßen, wenn auch der Leser dem Speckenbütteler Park einen Besuch abstatten könnte. Wegen des Erfolges in Speckenbüttel hat der Verfasser mit freundlicher Unterstützung durch die Schiffahrtsgeschichtliche Gesellschaft Bremerhaven, das Hansestadt Bremische Amt und den Magistrat der Stadt Bremerhaven am Bremerhavener Weserdeich etwa 40 Schilder und acht Schaukästen aufstellen können. Sie informieren den Deichspaziergänger über die Bremerhavener Heimat- und Schifffahrtsgeschichte. Dieser „Weser-Wanderweg“ sei dem Leser ebenfalls herzlich empfohlen!

Über den Autor:
Rektor Wolfgang Thode zählte zu den Gründungsmitgliedern des Grünen Kreises Bremerhaven und hat über Jahrzahnte mit vielen Akzenten für ein schöneres Bremerhaven gesorgt. Er starb am 28. Januar 2013 im Alter von 85 Jahren.