Die Baumscheibe

Wolfgang Thode, seinerzeit Leiter der Marktschule in Lehe und späteres Vorstandsmitglied, hatte in früheren Jahren als Austauschlehrer in San Francisco die Baumriesen an der amerikanischen Westküste bestaunt und war dabei auf die Idee gekommen, eine Scheibe eines solchen Baumes nach Bremerhaven zu holen, um sie am Eingang zum Speckenbütteler Park zum Blickfang für einen geplanten Waldlehrpfad zu verwenden.

Sein Plan gelang 1968. Die in Bremerhaven stationierten amerikanischen Streitkräfte wurden angesprochen, und bereits drei Wochen später lagen etliche positive Antworten aus den USA vor. Ein US-Oberst erbot sich, die Scheibe kostenlos mit seiner Transporteinheit zu jedem beliebigen kalifornischen Hafen zu bringen. Die Erlaubnis zur eigentlich nicht gestatteten Ausfuhr gab der damalige Gouverneur des Staates Kalifornien, der spätere US-Präsident Ronald Reagan, dem der Humboldt Redwood State Park unterstand.

Eine gewaltige Scheibe eines nordkalifornischen Rotholz-Mammutbaums (Sequoia sempervirens) von knapp zwei Metern Durchmesser und gut 1000 Jahre alt fand sich im Humboldt Redwoods State Park nördlich von San Francisco. Dort hatte ein Orkan eine Anzahl von Baumriesen entwurzelt.

Der Norddeutsche Lloyd konnte für den Transport der Baumscheibe gewonnen werden. Vom kalifornischen Hafen Eureka an der Westküste der USA gelang der Hartholz-Import kostenfrei an die Wesermündung. Die Scheibe wurde mit dem Motorfrachter „Köln“ der Hamburg-Amerika-Linie am 23. Mai 1968 als Decksladung nach Bremen gebracht. Und der Norddeutsche Lloyd verholte sie per LKW in den Speckenbütteler Park und ließ auf dem Transport gleich das Gewicht feststellen: 1020 kg, also mehr als eine Tonne.

Ehrenamtliche Helfer schliffen die Oberfläche der Scheibe glatt, imprägnierten sie und frästen die Vertiefungen für die Messlatte der Jahresringe sowie für die kleinen Messingschilder mit prägnanten Daten aus der Geschichte ein. Zum Zeitpunkt der Entdeckung Amerikas (1492) stand der Baum bereits seit rund 500 Jahren. In stundenlanger Arbeit wurden die Jahresringe gezählt: Man eignete sich nach mehrmaligem Zählen auf ein Alter von rund 1050 Jahre. 18 Metallschildchen erzählen bei den entsprechenden Jahresringen, was der Baum während seines Lebens alles erlebt hat.

Verschiedene Bremerhavener Firmen lieferten kostenlos das Material für ein Wetterdach oder stellten ihre Arbeitskräfte zur Verfügung. Die US Army half mit einem Kran bei der Aufstellung. Alles in allem war diese weltweite und mustergültige Aktion ein ausgezeichnetes Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Amerikanern.

Die Idee des „Waldlehrpfades“ wurde mit Hilfe des „Grünen Kreises“ am 1. Juli 1968 durch die Aufstellung der Baumscheibe verwirklicht. Der Pfad ist rund 1,5 km lang und geht vom Parktor durch den „Buchenhain“ und den „Rosengarten“ am Marschenhaus und an der alten Bockwindmühle vorbei bis zum Bootsteich.

Im Werkunterricht der Marktschule wurden Schilder aus wasserbeständigem Bootsbau-Sperrholz gefertigt, auf denen eine Beschreibung verschiedener Bäume, der im Park nistenden Vögel sowie der „Tiere unseres Waldes“, geschützter Pflanzen und Heilpflanzen sowie Hinweise auf im Wald liegende eiszeitliche Findlinge oder auch Beschreibungen der örtlichen Gegebenheiten (Wüstung Ganderse im Park-Gelände, Geschichte der Bockwindmühle, des Marschen- und des Geestbauernhauses) zu lesen sind. Die Schilder waren an gut sichtbaren Stellen des Parks aufgestellt und sind im Laufe der Zeit mehrfach – nicht nur durch Spenden, sondern auch mit tatkräftiger Hilfe durch die Stadt – erneuert oder renoviert worden, und sie sind derzeit immer noch vorhanden.